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Prof. Judith Samen, Kunsthochschule Mainz, 24.06.2014
Rede zur Eröffnung der Ausstellung Berit Jäger
zur Webseite von Judith Samen

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Berit, lieber Herr Geis,

Berit Jäger bespielt mit ihren hier ausgestellten Arbeiten ein komplexes Kaleidoskop an thematischen Feldern. In dieser kleinen Rede möchte ich Ihnen verschiedene Hinweise geben, die Ihnen als Betrachter vielleicht helfen können, genauer auf diese Kunst zu schauen und sich damit den angestoßenen Deutungen und Bedeutungen gedanklich zu widmen.

Geordnet
Der Titel der Ausstellung ist eine große Behauptung. Was ist eigentlich geordnet, was ist Ordnung, um welche Arten des Ordnens kann es gehen?
Dem Bemühen im Herstellen von Ordnungen steht das Chaos oder die Angst vor dem Chaos entgegen –grundsätzlich gilt: es erfordert das Aufwenden von Energie, um Ordnung herzustellen und aufrecht zu erhalten. Berit Jäger ordnet in ihrem komplexen künstlerischen Prozess Wahrnehmungen, Eindrücke, Erinnerungen und treibt dies zu Ergebnissen, wie wir sie heute hier sehen können.

Die hier als Bilder vorgeschlagenen Ordnungen Berit Jägers stellen keine letztendlich gültigen Antworten dar, vielmehr werden Fragen aufgeworfen; allerdings innerhalb konzentrierterer Themenfelder.

Geboren 1971 in der DDR erlebte Berit Jäger Kindheit und Jugend in einem stark politisch geprägten gesellschaftlichen System, es herrschte eine verlässliche Gesellschaftsordnung, die Systemkonformität voraussetzte und immer wieder neu herstellte, mit großer Verbindlichkeit für die Bürgerinnen und Bürger der DDR – man könnte auch von Gleichschaltung sprechen.

Politisch-historische Umbrüche erlaubten den Wandel, Deutschland in den Grenzen von 1989 ist Vergangenheit. Der Systemclash griff tief in das Leben vor allem der ehemaligen DDR-Bürger/-innen ein, Gesellschaftsstrukturen lösten sich auf, damit gewohnte, vielleicht nicht geliebte, aber immerhin: existierende Ordnungen wurden umgeworfen;
vormalig als absehbar und als verlässlich erschienene Lebenswege entwickelten sich völlig anders; und die neue Freiheit mit ihrem erst mal unkalkulierbaren Charakter sollte selbstverantwortlich innerhalb einer anderen, demokratischen Gesellschaftsordnung individuell gestaltet werden. Wer konnte, kaufte sich ein Auto. Andere Dinge gab es bald nicht mehr zu kaufen: Karo-Zigaretten und Kunsthonig waren out. Aber diese Überlegungen führen zu Markt und Kapitalismus, hier soll es um etwas Anderes gehen.

So, jetzt haben wir 2014. Die Künstlerin Berit Jäger zeigt Arbeiten im Abgeordnetenbüro. Und wir sehen: FDJlerinnen in Uniform, quasi-neutral fotografiert; ein Bild über das Warten: eine dunkle Warteschlange, als amorph-triste Menschenmasse in farblos-grauer Kulisse. Einen Fahnenappell, eine Maidemonstration – diese als im System DDR verordnete Zusammenkünfte, die Berit Jäger nach- inszeniert auf den Fotografien.

Allen Arbeiten sieht man an, dass es sich um Konstruktionen und Inszenierungen handelt: Den Frauen in der FDJ-Uniform sieht man an, dass es immer dieselbe ist, mit verschiedenen Frisuren, Haltungen, Gesichtsausdrücken. Wie viel Individualität ist möglich, welche Typen erscheinen innerhalb der Uniform? Was heute hier aussieht wie ein spaßiges Verkleidungsexperiment, hat im Hintergrund das gesellschaftliche Erleben von Menschen im nationalstaatlichen DDR-Kontext. Konformität vs. Individualität; Uniform als Kleidung und potentielle Multiform als Mensch. Die weitgehende Militarisierungsstruktur der damaligen DDR-Gesamtgesellschaft durften die Deutschen in der jetzigen Demokratie hinter sich lassen.
Und wir, hier und heute als Betrachtende in einer Kunstausstellung, dürfen weiter denken: Welche Arten von Uniformen als Zeichen gesellschaftlicher Zugehörigkeit gibt es heute? Ist es Ausdruck persönlicher Individualität, wenn wir alle eine Jeans tragen? Oder wirken gesellschaftliche Verabredungen geheim in Hintergrund, wenn der Herr ein weißes Hemd trägt und eine Krawatte bindet? Naja, wir dürfen aufatmen; immerhin ist inzwischen weniger vorgeschrieben – wenigstens den Bereich der Kleidung betreffend. Ob nicht doch „früher alles besser war“ und ob nicht doch „Ordnung das halbe Leben“ ist, mögen Sie für sich entscheiden.

„Können Bilder lügen ?“ lautete der Titel eines Symposiums zur Fotografie im Juli 2011im Bonner Kunstmuseum. Ich würde sagen: Bilder lügen immer, wenn wir den Fehler machen, den Anspruch zu erheben, sie für wahr und echt zu halten.
Die Frage nach Wahrheitsgehalt und Wirklichkeitsverhältnis von Bildern stellt sich immer dann, wenn wir Fotografien gegenüber stehen. Auf das der Fotografie verwandte Abbildungsmedium Film/Video könnte man diese Überlegungen in ähnlicher Weise anwenden.
Fotografien sind, so könnte man behaupten, transparent, wir schauen wie durch ein Fenster durch das fotografische Material hindurch, durch Bildträger und Fläche in eine andere Ebene, in eine Welt, die uns Räume und Motive zeigt. Und die erinnern uns an etwas, was es gibt oder gab. Fotografie hat etwas aufgezeichnet, was da mal war. Mit der immer gängigeren Praxis des digitalen Composings wissen wir aber, dass Vieles des Gezeigten – so echt es auch aussieht – eigentlich eine Form von Collage, von Zusammenfügung ist. Fotografischen Bildern als Beweis des So-Gewesenen glaubt man immer weniger.

Auch Berit Jägers Arbeiten sind konstruiert, in langen Arbeitsprozessen zu neuen Bildordnungen zusammen gefügt. Das Konstruierte versteckt sie nicht, es liegt visuell identifizierbar vor. Die klinische Glätte, das Statische der Ordnungen, und die Tatsache, dass in manchen Arbeiten immer dieselbe Person vielfach in unterschiedlicher Erscheinung auf einem Bild zu sehen ist, gibt uns Hinweise darauf, dass hier nichts mal wirklich so war wie es jetzt erscheinet. Vielmehr schafft Berit Jäger ein erinnertes Kondensat.

Die Gültigkeit von gesellschaftlichen Ordnungen und die Umsetzung von Gesetzen als Voraussetzung für diese interessiert die Künstlerin per se. Nicht nur als Verwertung von Erinnertem Erleben, das sie in ihren Fotos stellvertretend für eine ganze Generation ehemaliger DDR-Bürger formuliert.
In der Videoarbeit „Vergessenes Gesetz“: New Orleans, Lousiana
probiert Berit Jäger auf geradezu gehorsame Art und Weise, dem Gesetz zu genügen, das da lautet:
„Frauen dürfen nur Auto fahren, wenn der Ehemann eine Flagge vor dem Auto schwenkt.“
Die Videoarbeit dokumentiert den Versuch, diesem Gesetz genüge zu tun und entlarvt dabei eine Vorschrift, die von der Historie zwar überholt, aber nie deswegen geändert wurde. Man könnte an dieser Stelle auch über Emanzipation nachdenken.

Eine weitere Videoarbeit von Berit Jäger zeigt denen, die aushalten, es anzuschauen, wie die Künstlerin sich selbst einen Orden verleiht:
Die Johannes R. Becher Medaille für hervorragende kulturpolitische Leistungen der DDR – allerdings bohrt sie sich die Nadel in die Haut.

Diese Arbeit referiert natürlich auf das System der DDR; Kultur ist gleichzeitig immer politisch, mit kulturellen Leistungen wurde Politik gemacht und Gesellschaft geformt. Vielleicht ist das heute hier immer noch so, wobei Kultur nicht in dem Maße alleinig dann als ehrenwert betrachtet wird, wenn sie staatskonform wirkt. Jedenfalls ist Kultur keine schnöde Deko, mit der man sich schmücken kann. Der relevante Eingriff von kulturpolitischen und kulturellen Leistungen in das Existenzielle des Menschen wird in dieser Videoarbeit von Berit Jäger behauptet. Eine gewagte These, die uns ihrer schonungslosen Verletzlichkeit wegen berührt.

So, ich deutete an, die Ausstellung ist komplex – noch eine kleine Sache möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Sie finden an einer Wand ein Bild von fröhlich wirkenden Leuten, arrangiert als Knäuel mit Attributen, einem Buch, Hubschrauber – Hulla-Hup-Reifen.
Berit Jäger stellte für diese Fotografie eine Abbildung auf einer Sonder-Briefmarke der DDR nach. Die Marke erschien zum Kindertag der DDR 1979 und zeigte eine propagandistische Kinderdarstellung. Getragen von der Frage, was denn aus den DDR-Kindern geworden ist, stellte Berit Jäger die Posen nach und wagt damit eine Übersetzung des Grafischen ins „Heute“. Diese Arbeit bleibt nicht hier an der Wand, diese Sache ist nicht hier zu Ende – wenn Sie sich eintragen in die Liste, sendet Ihnen die Künstlerin eine Postkarte nach Hause – mit der alten Briefmarke und als Hilfe für Sie, nachzudenken über Kindheit, und welcher Weg von da aus von jedem zurück gelegt wurde.