Anna-Lena Tsutsui | Du Evidenz

Rede für Berit Jäger am 28.11.2014

Eröffnung der Meisterschülerausstellung
im Essenheimer Kunstverein

Es fehlt an Denkmöglichkeiten, die den Tod greifbar machen. Zwar wissen wir als Menschen, dass wir sterblich sind,
dies hilft uns aber nicht dabei uns den Tod selbst vorzustellen. Es gibt keine Möglichkeit für das denkende Ich, sich selbst wegzudenken.
Also ist “Ich werde aufhören zu sein” als gefühlte Einsicht nicht möglich.

Sigmund Freud folgerte daraus, dass jeder Mensch im Unbewussten von seiner eigenen Unsterblichkeit überzeugt sei.
Aus diesem Grund wurde im Christentum bis zur Renaissance ständig an die eigene Vergänglichkeit erinnert. Stolz und
Eitelkeit wurden verurteilt. Beliebt war der Spruch Memento Mori (Gedenke, dass du sterben wirst.), der die Vergänglichkeit alles Irdischen ins Gedächtnis rufen sollte.

In der Kunst erinnern Vanitasdarstellungen an die Vergänglichkeit und den leeren Schein alles Irdischen. Bekannte Beispiele sind die aus Elfenbein geschnitzten, vollplastischen Wendeköpfe: Während eine Seite ein menschliches Antlitz zeigt, ist die andere als Totenschädel gestaltet oder die eine Seite als schöne Frau und die andere als Greisin.
Ein zentrales Vanitassymbol ist auch die Musik,
die unmittelbar verklingt. Der von Mozart und anderen vertonte hochmittelalterliche Hymnus Dies irae (Tag des Zorns) in lateinischer Sprache ist eine der bedeutendsten künstlerischen Bearbeitungen des Memento mori und war bis 1970 Teil der katholischen Totenmesse (des Requiems). Es geht hier also darum den menschlichen Stolz und Größenwahn zu ermahnen und den Menschen daran zu erinnern, dass der Tod kommen wird und jeder vor dem jüngsten Gericht ungeachtet seiner irdischen Macht gerichtet wird.

Kunst muss sich zu dieser Zeit rechtfertigen, da sie zwar abbildet, aber immer leblos bleibt. Je größer die Öffentlichkeit
eines Kunstwerks wird, desto mehr muss es sich durch seine warnende Botschaft verteidigen. Heute ist dem nicht mehr
so.

Seit etwa 1760 wird die Überwindung der Vanitas ins Zentrum einer bürgerlichen Hochkultur gerückt und ältere
Vanitasmotive werden häufig einer geringer geschätzten Populärkultur zugerechnet. Heute ist die Vanitas deshalb
immernoch derart überwunden, dass oft eine ihr entgegen gesetzte Einstellung sichtbar wird. Das Kunstwerk und der
Mensch werden nicht mehr wegen Größenwahn verurteilt. Im Gegenteil möglichst großes Selbstvertrauen und das
Ausblenden mancher Zweifel sind oft Vorraussetzung für ein erfolgreiches Leben in unserer Leistungsgesellschaft. Selbst bei Betrachtung von Kunstwerken wie Damien Hirsts präparierten Kadavern, seinen Gemälden aus lebendigen Schmetterlingen oder seinem Diamant besetzten Totenschädel, die sich explizit auf eine Vanitas Symbolik im traditionellen Sinne beziehen, schwankt man als Betrachter zwischen dem Gedenken an den Tod und dem Gedanken an den Größenwahn des Künstlers.

Berit Jäger inszeniert in ihrer Meisterschülerausstellung den Tod um sich gegen diese Tendenz zu wehren in ähnlich warnender Absicht wie traditionelle Vanitasdarstellungen jedoch ohne religiösen Hintergrund. Sie stellt sich selbst dabei nicht über die Dinge. Die warnende Botschaft das Leben in all seinen Spielarten zu achten ist eindeutig lesbar.
Der Hochmut des Menschen sich über andere Lebewesen zu stellen und diese bisweilen achtlos oder aus niederen Motiven zu töten wird mal laut, mal still, kritisiert.
In der Ausstellung sind Arbeiten zu unserem liebsten Haustier Hund, unserem liebsten Speisetier Huhn und Wildtieren
zu finden. Ihr jeweiliger Platz in unserer Welt wird dokumentiert, überdacht und regt in ihren Inszenierungen zum Weiternachdenken an.

Berit Jäger hat an der Kunsthochschule Mainz seit 2006 Medienkunst und Fotografie studiert. 2010 wurde sie hier mit
dem Förderpreis der Rheinland-Pfalz Bank ausgezeichnet. Diese Ausstellung ist Höhepunkt und zugleich Abschluss
ihres Studiums. Nachdem sie lange Jahre bei Prof. Dieter Kiessling in der Klasse war und dort auch ihr Diplom
gemacht hat, hat sie sich entschieden sich während ihres Meisterschülerjahres von Prof. Judith Samen betreuen zu
lassen. Dieses zusätzliche Jahr hat sie genutzt, um ihre Foto- und Videoinszenierungen weiter zu perfektionieren und
ihnen eine besondere Schärfe zu verleihen.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Betrachten und selbst nachdenken über die einzelnen Arbeiten. Ich lade sie herzlich ein genau hinzusehen und zuzuhören, was ihnen die Werke erzählen. Falls Sie dennoch Fragen haben, ist die Künstlerin heute den ganzen Abend für Sie da.